Ironman 70.3 Austria 2019

Am Freitag klingelt der Wecker um 3 Uhr in der Frühe. Hinter mir liegt eine fast schlaflose Nacht, vor mir liegt eine recht stressige Anreise. Ewiges Warten bei der Gepäckaufgabe und beim Sicherheitscheck führen zu Zeitnot (um nur ein paar der Dinge, die nicht ganz glatt laufen zu nennen) und machen den Weg nach St. Pölten zu einem mentalen Stresstest. Am Ende hat dann doch im Wesentlichen alles hingehauen und ich kann mich für das Wochenende im idylischen Atzenbrugg, 22 km vom Wettkampfort, niederlassen. Entspannung kehrt in dem Moment ein, als ich das wunderschöne Heim meines freundlichen, hilfsbereiten Gastgebers betrete.


Noch am Nachmittag geht es dann nach St. Pölten, um die Laufstrecke einmal abzulaufen, die Vorortregistrierung vorzunehmen und die Speicher bei der Pastaparty randvoll zu machen. Der Samstag ist dann recht entspannt. Den Weg nach St. Pölten genieße ich diesmal bei Sonnenschein mit dem Rad um es dann einzuchecken. Anschließend geht es zur obligatorischen Wettkampfbesprechung. Bevor ich noch ein wenig an der Traisen entlang spazieren gehe und mir in der Innenstadt von St. Pölten noch den einen oder andern Snack genehmige, werden nochmal alle Wechselwege, der Startbereich, die Schwimmstrecke mehrmals gecheckt und verinnerlicht und die Wechselbeutel aufgehangen - das übliche Prozedere. Geschlafen habe ich anschließend so gut wie selten vor wichtigen Wettkämpfen geschweige denn außerhalb meines eigenen Betts. Geträumt habe ich insgeheim von einem guten Rennen, denn die Zielsetzung ist absolut klar formuliert: Die Qualifikation für einen Start bei der Weltmeisterschaft im September in Nizza. Im vergangenen Jahr war für einen sicheren Slot mindestens der 5. Rang in der Altersklasse der 30-34jährigen Männer erforderlich. Sicher nicht geschenkt - aber machbar!

 

Der Sprung ins kalte Wasser

Mein Gastgeber, wie gesagt unglaublich hilfsbereit, bietet mir an, mich um viertel nach 5 in der Frühe zum Wettkampfort zu fahren. Der Rest bis zum Start ist Routine, um 7 Uhr starten die männlichen Profis, 5 Minuten später die weiblichen, ab 7:15 Uhr die Amateure nacheinander in rollenden Wellenstarts. 30 Sekunden nach dem ersten Amateur begebe auch ich mich mit einem halbwegs geglückten Sprungstart auf die Reise durch den ersten von 2 Seen (Erst der Viehofner See und dann der Ratzersdorfer See). Da ich nicht großartig überschwommen werde und noch viel weniger ausgebremst werde, freu mich erstmal, dass ich mich halbwegs richtig bezüglich der Startreihenfolge einsortiert habe. Das Schwimmen im 17°C warmen Wasser verläuft eigentlich recht unspektakulär, mal verliere ich im trüben Wasser die Füße des Vordermanns, mal finde ich neue, mal verlier ich die Orientierung (dank des besagten Starts war ich bis zum Landgang auf einem Auge blind), mal denk ich "ach ja, da entlang", manchmal werden Lücken gerissen, mal werden sie zugeschwommen. Nach einem guten Kilometer geht es nach einem 270 Meter langen Landgang (natürlich am Vortag eigenhändig vermessen^^) in den Ratzersdorfer See, um die 1,9 Schwimm-Km vollzumachen (der etwa einminütige Landgang ist als Zugabe zu betrachten). Auf der Uhr steht 29:20 - so ziemlich genau das, was ich mir vorgenommen habe, es läuft wie am Schnürchen. Beim ersten Wechsel läuft auch nichts weiter schief, also ab aufs Rad.

 

Zwischen 8 und 80 kmh

Aus der Ortschaft ist man schnell raus und setzt die Reise auf der gesperrten Autobahn fort. Da wir für die ersten 20 km Rückenwind haben, vergehen diese auch wirklich schnell und waren schon nach nichtmal 27 Minuten passé. Treten muss ich dafür dankbarerweise auch nicht mehr als die 220 W, die ich mir im Vorfeld als Ziel bis zum langen Anstieg nach Gansbach ab km 60 vorgenommen habe. Ich halte mich akribisch an diesen Wert und es läuft weiterhin wie ausgemalt. Am Fuß des ersten Hügels überholt mich der spätere Sieger der AK und 6. der vergangenen Ironman WM und ist dann auch nicht viel später außer Blickweite. Wie sich später zeigte, sind wir ausgenommen vom Radeln, für das er über 7 Minuten weniger benötigte, fast auf die Sekunde gleich schnell gewesen). Im Verlauf des Anstiegs, bekomm ich dann allerdings schon etwas Angst, weil ich schnell merke, dass eine Kassette mit größeren Ritzeln doch ratsam gewesen wäre. Im niedrigsten Gang (39:21) wünscht man sich spätestens bei 10% Steigung (zumindest mit meinen zarten Beinen) ein paar Zähne hinten mehr/vorne weniger. Naja, aber der Hügel ist dann auch bald geschafft, wobei meine Angst eher dem Wissen geschuldet ist, dass der eigentliche Berg erst eine knappe Stunde später folgen soll.

Kurz nach der Abfahrt überholt mich eine vierköpfige Gruppe, unter anderem mit einem Italiener, der den Eindruck macht, er denke, er sei beim Giro d'Italia - nicht nur, weil er auf einem Rennrad unterwegs ist, sondern es auch nicht immer mit dem Windschattenverbot so genau genommen hatte. Naja, ich häng mich mit gut 10 Metern Abstand an die Gruppe ran, schau mir das eine Weile an, genieße aber auch mal die wundervolle Landschaft in der Wachau direkt an der Donau und freue mich, dass ich ein paar Watt weniger treten muss, um den Abstand regelkonform zu halten ohne an Geschwindigkeit einzubüßen. Weiterhin läuft's wie am Schnürchen. Auch exakt im Plan: Nach 90 Minuten Fahrzeit folgt der zuvor erwähnte lange Anstieg. Auf dem Radcomputer sind es bis hier hin exakt 220 W im Schnitt, Herz- und Trittfrequenz sind auch genau im Zielbereich so wie auch die Durchschnittsgeschwindigkeit. Für den Anstieg heißt es nun beißen. Bei bis zu 12% Steigung wird irgendwann jede einzelne Pedalumdrehung (wohlbemerkt im niedrigsten Gang) zu einem epischen Kampf von jeweils über einer Sekunde Dauer (der versierte Mathematiker wird an dieser Stelle feststellen: Für 60 RPM hat hier teilweise die Power oder die Ritzelgröße gefehlt). Irgendwann (nach circa 1000 Pedalumdrehungen/15 Minuten) ist auch hier der Gipfel erreicht. Der Anstieg glich dem Beginn einer Achterbahnfahrt. Weiter geht's mit der Abfahrt, bei der ohne zu Treten über 80 kmh als Maximalgeschwindigkeit erreicht werden - ein kleiner persönlicher Rekord, der aufgestellt wird, während man sich unweigerlich ausmalt, was bei solchen Geschwindkeiten so passieren könnte und gleichzeitig darauf Acht geben sollte, dass man sich hier höchstens durch Angstschweiß einnässt. Ein Teilnehmer sagt mir später im Zielbereich, es sei wie beim Klettern: Man sollte besser nicht nach unten schauen - wahre Worte! Die Gruppe hat's gesprengt und ab jetzt fährt jeder mehr oder weniger sein eigenens Rennen. Die zweite Wechselzone erreiche ich, wie geplant, nach knapp 3 Stunden Rennzeit. Die Durchschnittsleistung war auch am Ende bei genau 220 Watt - Punktlandung. Offizielle Fahrzeit 2:26:57 h für die 90 km.

 

Ab in die Laufschuhe

Nach dem zweiten Wechsel, ebenso unspektakulär (im positiven Sinne) wie der erste, verlasse ich die Wechselzone nach gut 3 Stunden Rennzeit und mache mich auf die Reise. Ein Halbmarathon, aufgeteilt auf 2 Runden an der Traiser mit einer kleinen aber schönen Schleife von etwa einem Kilometer durch die St. Pöltener Innenstadt. Wie bereits am Freitag merke ich, die Strecke ist schön - und verdammt schnell. Mit dem Wetter haben wir am heutigen Tag glück. Es ist relativ windstill, trocken, nun wird es immer wärmer und sie Sonne scheint - endlich Sommer! Ich fühle mich wohl, merke meine Wade - sie zwackt, macht aber nicht großartig Probleme (12 Tage vor dem Rennen habe ich mir eine Zerrung in der Wade und/oder Probleme am Achillessehnenansatz zugezogen). Nach wenigen Minuten checke ich die Geschwindigkeit und freue mich kontrolliert im 3:4Xer-Bereich zu liegen. Ab jetzt konzentriere ich mich auf anständige Kühlung und Verpflegung an den Labstationen (wie man hier in Österreich sagt). Zusätzlich führe ich meine Eigenverpflegung in einer selbstgebasteteten Handbottle mit mir mit. Bereits beim Einrollen in die Wechselzone hatte ich gesehen, wie die beiden ersten Profimänner, die 15 Minuten vor uns Amateuren gestartet sind, auf die zweite Laufrunde gingen, nach 4 Laufkilometern überrundet mich dann auch der Drittplatzierte und Vorjahressieger Michael Weiss. Ich hänge mich für einen halben Kilometer an ihn ran, lass ihn dann aber doch lieber ziehen wohl wissend, dass er im vergangenen Jahr einen Laufsplit unter 1:10 hingelegt hat. Als es etwas später Richtung St. Pöltener Innenstadt geht, kommt mir die führende Frau entgegen und realisiere, dass ich virtuell schonmal "erste Frau" bin (die Frauen sind ja gut 12 Minuten vor uns gestartet und ich befinde mich nun circa einen realen Kilometer hinter ihr) - ein gutes Zeichen. Nach 8 Kilometern höre ich Schritte von hinten lauter werden. Ich hoffe, dass es sich dabei um den nächsten Profi handelt. Leider ist das nicht der Fall, viel schlimmer: Es ist ein Konkurrent, einer meiner Altersklasse und er läuft deutlich schneller als ich, somit verliere ich schonmal einen Platz, weiß zudem auch nicht, auf welchem Rang ich mich überhaupt befinde. Lediglich den Führenden meiner AK konnte ich im Vorfeld ausmachen, da er kurz vor der führenden Frau lief. Seit Beginn des Laufens habe ich darauf verzichtet, auf die Uhr zu schauen beziehungsweise Kilometersplits zu checken. Manchmal kann das psychologisch vorteilhaft sein. Nach 10 Kilometern schau ich dann doch auf die Uhr und sehe, dass ich mich im Bereich von 3:50/K im Schnitt befinde. Nach und nach lull ich ein wenig ein und irgendwann, unzwar nach dem 16. Kilometer, luscher ich dann nochmal aufs Handgelenk und sehe eine 4:24 für diesen Kilometer aufploppen. Es ist der mit Abstand langsamste Laufkilometer und es ist ein glücklicher Zufall, dass ich gerade jetzt wieder auf die Uhr geschaut habe, denn nun geschieht etwas in meinem Kopf und ich sage mir: Hierfür bin ich nicht hier her gekommen. Auch wenn es bis hier hin anstrengend genug ist und ich auch einfach in dem Tempo hätte weiter laufen können, beiße ich dann (sprichwörtlich und buchstäblich) die Zähne zusammen, denke daran, wie sehr Weiss allen Anschein am Limit war als er mich überholt hat (man mag von ihm halten, was man will, aber kämpfen kann er). Die letzten 4 Kilometer bis zur Zielgeraden kann ich dann noch unter 15 Minuten zurücklegen, was sich im Nachhinein noch als entscheidend herausstellen soll, und beende meinen Wettkampf mit einem Laufsplit von 1:18:46 h. Meine Endzeit liegt bei 4:20:42 h. Im letzten Jahr unter ähnlichen Bedingungen hätte diese Zeit für den Altersklassensieg gereicht - und heute?

 

Das Rennen im Rückblick

Im Ziel unterhalte ich mich mit ein paar Teilnehmern, unter anderem mit dem Sieger der Altersklasse und bin erstmal erstaunt, als er mir erzählt, es seien noch zwei Amateure schneller als er gewesen. Im vergangenen Jahr noch war der schnellste Amateur nicht unter 4:20 gekommen. Einige Ergebnisse (unter anderem an der Spitze des Profifeldes) implizieren allerdings, dass die Bedingungen auch nicht wesentlich besser gewesen sein können als im vergangenen Jahr und trotzdem: Während im vergangenen Jahr nicht ein Amateur unter 1:19 h gelaufen ist, waren es in diesem Jahr alleine 2 in meiner AK, die schneller gerannt sind, 8 Amateure insgesamt und meine Platzierung am Ende ist dann erstmal etwas ernüchternd: Platz 7 in der AK, 17. Amateur, 34. Insgesamt (sowohl in der Männerwertung als auch insgesamt). Wie aber ein einflussreicher Psychologe sagt: Ich kann allerdings guten Gewissens behaupten: Ich habe heute mit meinen derzeitigen Möglichkeiten alles aus mir rausgeholt, was möglich war und das erfüllt mich mit Stolz. Nun bleibt es abzuwarten, was bei der Slotvergabe für Nizza herauskommt.

 

60 Slots für Nizza

In einigen Punkten war ich gefühlt nicht ganz optimal auf dieses Rennen vorbereitet - Es ist ja auch noch sehr früh in der Saison und damit nicht ungewöhnlich, dass man noch nicht haufenweise Freiwasserkilometer gesammelt hat und das Zeitfahrrad auch erst vor zwei Monaten wieder von einem Dekorationselement zu einem Trainingsgerät umfunktioniert wurde. Was mich dann aber überrascht, ist, dass in diesem Rennen statt der üblichen 50 Slots 60 unter den erfolgreichen Amateuren für die WM verteilt werden. Hoffnung keimt in mir auf.

Bis die Startplatzberechtigungen in meiner AK verteilt werden, hilft ein leckeres Büffet gegen den Hunger und Bier gegen die Nervosität... dann endlich ist es so weit: "Es geht weiter. In der Altersklasse M30-34 haben wir... sieben Slots... sieben? ... ja, sieben Slots". Während ich noch wenige Sekunden zuvor dachte, ich müsse auf den Rolldown durch Verzicht vor mir platzierter Athleten hoffen, ist bereits in diesem Moment "klar" (ich kann es noch nicht so recht glauben und zweifle bis mein Name aufgerufen wird), dass ich mich direkt qualifiziert habe! Wenige Minuten später halte ich den wertvollen Nizza-Coin in der Hand und die letzten Zweifel verfliegen. Die Kreditkarte gezückt, finanziell ärmer aber um einen Anlass für eine weitere grandiose Reise reicher geworden. Beim Blick auf die Ergebnisliste wird mir dann auch später klar: Wäre ich die letzten 4 Kilometer im 4:00er-Schnitt zuendegelaufen, hätte es nicht gereicht. Der Kampf hat sich also gelohnt und so verbleibt vor allem das kostbare Gefühl, es wirklich verdient zu haben.

 

Wettkampfaufzeichnung vom Ironman 70.3 Austria

 

Zu guter Letzt möchte ich mich in aller Herzlichkeit bei meinem Gastgeber Chris bedanken, der mit seiner Hilfsbereitschaft, seiner entspannten Art und seiner beispiellosen Gastfreundschaft ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass diese Kurzreise zu einem angenehmen Erlebnis mit bleibenden Eindruck wurde! Darüber hinaus danke ich einmal mehr Tomek, dass er mir ohne zu Zögern seinen Radkoffer zur Verfügung gestellt hat. Außerdem möchte ich allen danken, die am Sonntag an mich gedacht haben oder sogar mitgefiebert haben. Ich hoffe, ihr konntet euch mit mir mitfreuen... und danke fürs Lesen!

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