Ein kurzer Moment, eine Kurzschlussreaktion, die Ende letzten Jahres ihre Konsequenzen nach sich zog, verschob das Saisonende in diesen Jahr bis in den Oktober hinein: Auf dem Bildschirm war fett zu lesen: „10 Entries left“. Ich war auf der Website des Ironman Barcelona unterwegs. Ein Augenblick der Schwäche und ein knappes Jahr später befinde ich mich zusammen mit dem Biest aus Bargenstedt und einer Crew aus 4 tapferen Supportern im beschaulichen Städtchen namens Calella an der Mittelmeerküste wieder.
Die Ziele in Form von Zeiten, Geschwindigkeiten und Leistung akribisch zurecht gelegt bin ich mir bewusst: Es wird spannend. Was die letzten Wochen so offenbarten, lässt zumindest auf eine passable Grundschnelligkeit beim Laufen schließen. Vor wenigen Wochen konnte ich 3000 Meter auf der Bahn in für mich ausgezeichneten 9:18 zurücklegen, auch mit meinen Halbmarathons (2x Standalone, 2x im 70.3 in 2019) bin ich mehr als zufrieden. Was jedoch völlig unklar ist, ist ob die Puste hinten raus auch für eine Langdistanz reichen würde. Denn mit einem einzigen Lauf über 24 km im kompletten Jahr habe ich bestenfalls Mut zur Lücke bewiesen, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Noch unsicher, was ich mir da angetan habe beziehungsweise antun werde finde ich mich am 6. Oktober um 8:15 an der Startlinie wieder. Exakt dort, wo ich sein wollte: In siebter Reihe. 8 Amateure starten jeweils gleichzeitig im Rolling-Start-Modus, bevor 5 Sekunden später die nächsten 8 auf die Reise gehen und so weiter. In diesem Rennen hoffe ich unter den circa 3000 Amateuren als 50. aus dem Wasser zu steigen, somit hat es bis hier hin (ganz anders als in Nizza) schon mal perfekt funktioniert. Das Wasser ist glücklicherweise an diesem Morgen relativ ruhig, nicht viel mehr als ein paar Wellen bei angenehmen 21° C und Kälteschutzfreigabe. Es geht los, ich suche mir die ersten Füße, die ich erwischen kann und probiere dran zu bleiben. Hier und da verliere ich mal den Vordermann, obwohl das Wasser recht klar ist, finde dann aber auch schnell den nächsten. Nach 55:13 Minuten befinde ich mich bereits wieder in der Senkrechten. Für mich das mit Abstand beste Schwimmen, das ich je bei einer Langdistanz zeigen konnte. Ich bin entzückt und freue mich auf den ersten Wechsel, den ich am Vortag gefühlte hundert Mal im Kopf durchgespielt habe. Ich erfahre, dass ich als zehnter meiner AK aus dem Wasser gestiegen - Wahnsinn! Der Wechsel gelingt auch recht gut, bereits bis zum Radaufstieg kann ich drei weitere Plätze gut machen.
Ab geht die wilde Fahrt. Der Kurs ist sehr flach und geradlinig. Selbst mit einem merklichen Anstieg auf pro Runde kommen wir auf gerade einmal 800 Höhenmeter. Windig ist es heute auch nicht, dementsprechend schnell sind die gefahrenen Zeiten. Der Ironman Barcelona ist, das sei hier auch erwähnt, berüchtigt für seine fragwürdige "Gruppendynamik" (Windschattenproblematik). Bis heute bin ich allerdings davon ausgegangen, dass das lediglich die große Mitte des gigantischen Starterfeldes betrifft. Dies kann ich nun definitiv widerlegen. Die ersten 50 km fahr ich noch relativ allein. Hin und wieder kann ich eine der Profifrauen, die nur 5 Minuten vor uns gestartet sind ein- und teilweise überholen. Nach einer gewissen Weile fahre ich auf eine finnische Profifrau auf und hab mich für ein paar Minuten 12 Meter hinter ihr positioniert. Nach und nach haben sich dann weitere hinzugesellt. Die Finnin verabschiedet sich nach einer Weile nach vorn, während aber der Rest unserer Gruppe nach dem äußersten Wendepunkt bei leichtem Gegenwind kontinuierlich wächst und wächst. Eingangs der zweiten Runde auf dem Rad fühle ich mich dann nach Hawaii zurückversetzt. Am Gipfel eines kleinen Hügels konnte ich ein paar Meter weiter in die Ferne blicken und das einst so beschauliche Grüppchen ist auf über 30 Mann angewachsen. Zumindest wird in diesem Bereich des Feldes anders als auf Hawaii größtenteils in Einerreihe und in vernünftigem Abstand gefahren, während ich ganz hinten in der Gruppe den Abstand halte und immer wieder neue Leute ihren Weg in unsere Gruppe finden und mitrollen. Die Flucht nach vorne, das hat bereits in der Vergangenheit die Erfahrung gezeigt, ist für mich keine Option. Im weiteren Verlauf der zweiten 90 km reißt die Kette jedoch hier und da mal wieder, ich erspähe meine Chance und schließe wieder auf, fahre mir aber bei den Aktionen immer wieder die Beine blau, was jedes Mal gefühlt wieder mehr Kräfte kostet. Die zweite Runde fahre ich somit bedeutend schneller, jedoch liegt das vor allem am merklich nachlassenden Wind, nicht an der getretenen Leistung. Die gut 200 W, die ich mir vorgenommen habe, haben auch nur die erste Runde überstanden. Danach wird es immer zäher. Als es das zweite Mal um die äußerste Wende geht, freue ich mich bereits, dass nun nur noch eine Stunde auf dem Rad vor mir liegt. Bei einem optimalen Rennverlauf freut man sich eher auf den Beginn des Laufens als auf das Ende des Radfahrens - ein kaum merklicher Unterschied, der aber schon ankündigt, dass es noch schwierig werden soll. Nach 4:43:45 h steige ich vom Rad, etwas früher als gedacht, was zum einen daran liegt, dass die Radstrecke etwas kürzer ist als erwartet (knapp 179 km statt gut 181 km) und zum anderen am „schnellen Wetter“. Nach einem für Longoverhältnisse flotten Wechsel setz ich bereits nach 5:44 h Rennzeit meine Füße auf die flache 3-Runden-Laufstrecke.
In meinem oft im Vorfeld durchgespielten Traumszenario beginnt nun die Aufholjagd in meiner besten Disziplin. Mein erstes Ziel, den ersten Kilometer auf GAR keinen Fall unter 4 Minuten zu laufen, erreiche ich schon mal "suverän" in 4:01. Die nächsten Kilometer kann ich alle etwas über 4 Minuten laufen – alles nach Plan. Der erste Schreckmoment lässt aber nicht lange auf sich warten: Ein fetter Oberschenkelkrampf und das schon bei Kilometer 4. Kurz denke ich, ich müsse mich jetzt bereits von sämtlichen Kona-Quali-Ambitionen verabschieden. Nach kurzem stehen, gehen und humpeln läuft sich der Krampf dann aber ganz von allein raus und selbst mit dieser Stop-and-Go-Einlage ist auch dieser Kilometer in 4:18 geschafft, der fünfte dann sogar in 3:59... Das sollte dann aber auch mein einziger Sub4er in diesem Lauf bleiben. Nichts desto Trotz steigt in mir das Selbstvertrauen, dass es mein Tag werden könnte. An den Abständen zu den vorderen Plätzen ändert sich etwas, wenn auch erstmal nur ein wenig, aber das dicke Ende kommt ja bekanntlich zum Schluss – wie sich später auch noch zeigen soll. Die ersten Kilometer sind nach kaum mehr als 41 Minuten geschafft, die zweiten 10 vergehen ebenfalls wie im Flug und unwesentlich langsamer – Die Kilometersplits pendeln sich irgendwann relativ konstant bei etwas über 4:10 ein. Bis zur Hälfte fühle ich mich also prächtig, als könnte ich ewig so weiterlaufen. 21 km sind nach 1:27:30 h geschafft. Was dann geschieht lässt sich wohl am treffendsten so beschreiben: Km 22-29: 4:14, 4:26, 4:24, 4:33, 4:30, 4:49, 4:58, 6:00. Innerhalb einer halben Stunde kippen die Gedanken von „Ich könnte ewig so weiter machen“ über „Langsam wird’s anstregend“ bis hin zu „Ich kann einfach nicht mehr“. Der Beschluss stehen zu bleiben und ein paar Meter zu gehen entsteht innerhalb weniger Minuten. Exakt eingangs der letzten Laufrunde beschließe ich das Handtuch zu werfen. Hier rächt sich das für die Langdistanz halbherzige Training mit voller Wucht. Es geht nichts mehr, ich bin leer, vermutlich so leer wie noch nie, die Glykolyse stellt ihren Betrieb ein. Von einem Sub3h-Marathon habe ich mich längst verabschiedet, eine Gesamtzeit unter 9 Stunden ist bald auch kein Thema mehr, die letzten 10 km unter 50 Minuten? Auf gar keinen Fall. Unter einer Stunde vielleicht? Nicht mal das war noch drin. In der Zwischenzeit glaube ich, ich beginne zu halluzinieren: Von hinten höre ich schon jemanden „Inselverbot“ rufen. Manchmal glaube ich noch einen Engel zu sehen, realisiere aber, dass es lediglich die führende Frau ist, die mir in den ersten beiden Runden noch an den selben Stellen entgegengekommen bin. Da waren wir noch gleich schnell unterwegs, wie in Nizza, als wir fast identische Laufzeiten ins Ziel brachten und heute? Die letzten 14 km bringe ich demütig in sagenhaften 6:05/km hinter mich. Eine sehr interessante Erfahrung, aber sicher keine schöne.
Anders als der Zieleinlauf, den ich dann doch noch irgendwie genießen kann. Zumindest fiel die Anspannung bereits eine Stunde vorher gewissermaßen ab. Nach einem 41,9 km Laufsplit in 3:24 h erreiche ich das Ziel nach 9:08 h Renndauer - auf Platz 18 meiner Altersklasse, weit hinter den vorderen Platzierungen. Was bleibt hängen? Auf jeden Fall gemischte Gefühle. Viele Zeitstrafen wurden heute verteilt, an sich ist das etwas Positives. Es erwischt aber nicht immer die richtigen. Ich hab immer mein bestes gegeben, fair zu fahren und somit blieb mir jegliche Strafe erspart. Wiederum habe ich direkt vor meiner Nase voll bewusste Littering-Vergehen und eine Rechtsüberholung beobachten dürfen, die ungeahndet blieben. Das sind unnötige Dinge die zurecht zu einer direkten Disqualifikation führen, wenn ein Wettkampfrichter das sieht. Die Schwimmleistung ist nun endlich da, wo ich sie so lange haben wollte, die Rad- und Laufbeine eigentlich auch. Lediglich die Effizienz (bezüglich Energieumsatz) war bei diesem Mal einfach nicht gut genug für eine vernünftige Langdistanz - und das von Anfang an, aber man lernt aus solchen Erfahrungen und beim nächsten Mal, wenn ich an der Startlinie einer Langdistanz stehe, wird die Vorbereitung einer würdigen Langdistanz gerecht gewesen sein.
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Danke an das Biest aus Bargenstedt, ohne das ich mir diese Erfahrung hätte sparen können ; ) Danke an die großartigen Supporter vor Ort, die auch die schönen Bilder geknippst haben: Annika,
Kristina, Daniel und Kevin. Danke an Detlev für seinen leidenschaftlichen Einsatz als Trainer. Ein mal mehr danke an Tomek für den geliehenen Radkoffer! Außerdem ein herzliches Dankeschön an
Simon, Tim, Carina, Jannis, Saskia, Chrissy, Udo, Corni, Semmel, Martin, Daniel, Hannes, Ralf, Gyde, Marit und wen ich sonst noch vergessen habe.
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