2017 – Trump wird US-Präsident, Steinmeier Bundespräsident, das Farbfernsehen erfreut sich immer größerer Beliebtheit und noch ahnt niemand irgendetwas von einer anstehenden Pandemie. Zudem war es das Jahr meines letzten Marathons. Meine Bestzeit liegt weitere 2 Jahre zurück.
Nach einer nicht so üppig gefüllten aber umso erfolgreicheren Triathlon-Saison beschließe ich, einen Versuch zu unternehmen, meine Laufform in etwas Zählbares zu verwandeln. Zwei Optionen stehen im Oktober zur Auswahl: Zwei deutsche Meisterschaften (erst HM, 2 Wochen später 10 km) oder ein Marathon in der Woche dazwischen. Mit der Intuition, dass die Ausdauer nach einem Ironman ausgeprägter als die Grundschnelligkeit sein dürfte, entschließe ich mich dann für letzteres. Eine weitere Überlegung ist „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, denn ein Marathon im Frühjahr ist für mich keine Option im Hinblick auf eine Triathlon-Saison und zumindest nächstes Jahr laufe ich im Herbst meinen Marathon lieber am anderen Ende der Welt, nachdem ich 180 km über Big Island geradelt sein werde. Zudem ist es einfach mal wieder Zeit für eine neue Bestzeit. Seit August 2020 konnte ich meine persönlichen Bestleistungen über Laufdistanzen von 1000 Meter bis zum Halbmarathon updaten. Lediglich im Marathon steht noch die Zeit aus Bremen aus Oktober 2015 – 2:37:54 h.
So entschließe ich mich also, in meine Heimat aufzubrechen, um 2 Jahre und 2 Tage nach meinem letzten Marathon erneut die 42195 m unter die Füße zu nehmen und finde mich am 24. Oktober um 10 Uhr an der Startlinie des Lübeck-Marathons wieder. Neben mir der Streckenrekordhalter und der offiziell schnellste Koch der Welt, ebenfalls mit dem Namen Jan. Ein gutes Vorzeichen? Schauen wir mal. Auf geht’s! Der erste Kilometer verläuft zunächst bergab, zudem gilt es, sich zu positionieren, somit ist dieser Kilometer mit 3:25 auch direkt der schnellste im kompletten Rennen. Es formiert sich schnell eine 4 Mann starke Gruppe, neben Jan und mir noch ein Teilnehmer des Marathon-Duo-Rennens (2-Mann-Staffel, einer läuft nach Travemünde, ein anderer zurück) sowie ein Triabolo. Im Flachen pendeln sich die Kilometersplits recht schnell bei etwas über 3:30 ein. Nach knapp 9 km geht es hinunter durch den Herrentunnel unter der Trave entlang. Mein Vorsatz, bergab mit Druck zu laufen, um bergauf etwas rauszunehmen und damit hoffentlich ein wenig ökonomischer unterwegs zu sein, wird gewissenhaft umgesetzt und am Scheitelpunkt des Tunnels habe ich anscheinend eine kleine Lücke gerissen. Auf dem Weg zurück ans Tageslicht, schließt jedoch nur einer aus der Gruppe die Lücke direkt wieder, der einen Kilometer später dann aber abreißen lässt und somit bin ich nach 10 km in 35:46 erstmal allein unterwegs. Als führender beim heimischen City-Marathon – verrücktes Gefühl. Ich probiere weiterhin, das Tempo möglichst konstant zu halten, nichts Verrücktes zu tun, entspannt zu bleiben.
Die Hälfte der Strecke bringe ich nach 75 Minuten hinter mich. Ich befinde mich in Travemünde. Ein lauer Wind an der Promenade und Sonnenschein lässt mich fast vergessen, dass noch ein anstrengender Rückweg auf mich wartet. Wettertechnisch haben wir heute einfach riesiges Glück. Der leichte Wind aus südöstlicher Richtung ist wirklich nichts im Vergleich zu den orkanartigen Böen früher in der Woche. Dennoch vermag der Rückweg aus zwei Gründen ein wenig anspruchsvoller zu sein, denn zum einen liegt der Wendepunkt ein wenig tiefer als der Start-/Zielbereich und zum anderen weht der leichte Wind, der eben noch eher von hinten kam, von nun an von vorn. Bei der Wende stelle ich fest, dass Jan mir noch auf den Fersen ist und erstaunlich entspannt wirkt. Uns trennen lediglich etwa 50 Meter oder gute 10 Sekunden.
Auch auf der zweiten Hälfte der Rennstrecke bin ich zunächst noch guter Dinge. Die meisten der Kilometer werden weiterhin in weniger als 3:40 zurückgelegt. Zwischendurch höre ich, dass der Vorsprung auf Jan wohl auf etwa 200 Meter angewachsen sei. Hab ich das Ding etwa in der Tasche? Nach etwa 35 Kilometern geht es zum zweiten Mal den Tunnel hinunter. Ich merke, wie sich ein Krampf oder ähnliches im hinteren Oberschenkel ankündigt. Glücklicherweise kommt es dann doch nicht zu mehr, dennoch fühle ich mich allmählich müde. Von nun an wird es zäh. Nach etwa 36 km blicke ich mich kurz um und sehe Jan, etwa 10 Meter hinter mir. Misst. Wenige Sekunden später überholt er mich mit anerkennenden und motivierenden Worten. Ich ziehe sprichwörtlich meinen Hut und sehe ihn entlang der Travemünder Allee dem Horizont entgegenstürmen. Es macht sich nun ein wenig Erleichterung bei mir breit, denn ich entscheide mich direkt gegen den Versuch, dagegen zu halten. Zu groß die Angst vor einem Krampf, zu müde der Kopf und die Beine. Nichtsdestotrotz gelingt es mir immer noch, die letzten Kilometer in jeweils knapp 3:50 hinter mich zu bringen, um am Ende nach 2:32:24 (netto 2 s weniger) über die Ziellinie zu laufen - 34 Sekunden nach einem verdienten Sieger und würdigen Titelverteidiger und gleichzeitig fünfeinhalb Minuten schneller als meine alte Bestzeit.
Ich hatte einen Riesenspaß, gelohnt hat es sich in jeder Hinsicht, und wie heißt es doch so schön? Ob Norden, Süden, Westen, Osten - zu Hause ist es doch am bosten.
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In diesem Sinne: Ab in die Saisonpause! Bis bald!
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