Lange ist's her, da ahnte man noch nichts davon, was das Jahr 2020 für uns alle bereit hielt. Vor etwa 3 Jahren kümmerte sich Timo vom Tri-Sport Lübeck darum, ein Startplatz-Kontingent für den Verein zu reservieren und nach etwas Zögern entschied mich dann irgendwann dazu, mit von der Partie zu sein. Roth muss ein Triathlet mindestens einmal im Leben gemacht haben, eine unvergleichliche Erfahrung und das vermutlich mit zwei Dutzend Vereinskollegen im Juli 2020. Doch es sollte alles anders kommen. Aus Gründen, die allen bekannt sind, fiel die Veranstaltung wie praktisch alle anderen aus. Das Jahr darauf fand Sie wieder statt, allerdings verschoben auf den September in abgespeckter Variante (weit reichende Hygienemaßnahmen, stark reduziertes Starterfeld und Streckenverkürzung) und mit der Option, sein Startrecht auf 2022 zu verschieben. Für letzteres entschied ich mich.
Nach langem Vorlauf ist das Wochenende nun endlich da. Ich mach mich bewaffnet mit Rennausrüstung und einem 9€-Ticket auf eine siebenstündige Bahnreise Richtung Allersberg in der Rothsee-Region. Dort wohne ich fürs Wochenende in einer hübschen Ferienwohnung zusammen mit vier Gefährten aus Dithmarschen. 'Leider vier' muss man sagen, denn geplant waren zwei weitere, die sich aber zum ungünstigsten Zeitpunkt mit Corona infiziert haben.
Bei meiner Ankunft kommt noch ordentlich Regen runter und es ist kühl. Das soll sich aber für das restliche Wochenende ändern. Sonne satt und sommerliche Temperaturen! Was will man mehr! Noch am Freitag holen wir unsere Startunterlagen ab, spazieren über das Event-Gelände und saugen die Roth-Atmosphäre auf. Der Samstag ist entspannt: Ein bisschen Schwimmen im Main-Donau-Kanal, ein bisschen Radeln, ein bisschen laufen, Rad einchecken und essen.
Rasieren oder wachsen? Die Beine sind rasiert, die Kette ist gewachst - und soll wieder rasiert werden. Es kann also los gehen! Um 6:50 ertönt die Startkanone für die schnellsten Amateure und mich unter den Augen faszinierend großer Zuschauermassen, 20 Minuten nach dem Start der männlichen Profis und 17 Minuten nach dem Start der weiblichen. Ich schaffe es leider erst kurz vorm Start ins Wasser, der Neo sitzt noch bescheiden und beklemmend. Einschwimmen lass ich auch aus und sortiere mich direkt auf der zur Mitte des Kanals zugewandten Seite, relativ weit vorn ein. Die ersten Minuten sind durch Schnappatmung und Abwenden von Panikattacken geprägt. Wie leider viel zu häufig hab ich mit dem Schwimmen zu kämpfen. Beim Erreichen der ersten Wendeboje nach etwa 1,5 km ist die Beklemmung abgeklungen, und ich finde so eine Art Rhythmus. Letzten Endes fehlt mir für das komplette Schwimmen ein Gefühl fürs Tempo und für meine Position im Feld. Manchmal verliere ich Füße, manchmal finde ich neue Füße, manchmal bin ich allein, manchmal im Getümmel und nach knapp einer Stunde hab ich wieder festen Boden unter den Füßen. Mit knapp 59 Minuten bin ich etwa 3 Minuten langsamer gewesen als das, was ich mir vorgenommen habe und wovon ich auch denke, dass ich es in mir gehabt hätte. So kam in etwa die gleiche Zeit raus wie vor knapp 10 Monaten in Hamburg. Naja, weiter geht's.
Der Wechsel verläuft ohne größere Probleme. Ich schwing mich aufs Rad und nehme den Zwei-Runden-Kurs mit insgesamt knapp 180 km und über 1500 Höhenmeter in Angriff. Es ist trocken, die Sonne scheint und der Wind hält sich durchaus in Grenzen. Es ist angerichtet. Vor mir liegt eine wunderbar asphaltierte Radstrecke, durch einige idyllische Ortschaften, gesäumt mit vielen gut gelaunten Zuschauern. Auch unabhängig von den Zuschauern bin ich nie wirklich allein. Um mich herum finden sich ein paar Mitstreiter unterschiedlicher Nationalitäten ein, die ein ähnliches Tempo wie ich fahren und an denen ich mich wunderbar orientieren kann. Wir wechseln uns auch hier und da mal in der Führung ab und halten den vorgeschriebenen Abstand von 12 Metern so gut wie möglich ein. Man will hier definitiv nichts riskieren, da im Falle einer 5-Minuten-Zeitstrafe noch ein Extrakilometer beim Laufen oben drauf käme. Einfach ist es aber nicht, denn der Kurs hält durchaus ein paar Kurven und steile Anstiege bereit, was den Zieharmonikaeffekt begünstigt. Nach einer knappen Stunde befinde ich mich am südlichsten Punkt der Strecke. Hier beginnt der längste Anstieg des Kurses, von Greding den Kalvarienberg hoch. Mit einem 50er als einziges Kettenblatt und einem 28er als größtes Ritzel war ich mir im Vorfeld nicht wirklich sicher, ob es wir diesen Anstieg reichen soll. Letzten Endes bewältige ich die steileren Stücke im Wiegetritt und schieb mich irgendwie diesen Anstieg hoch. Es funktioniert. Weiter geht's bergab, dann flach, dann wieder profiliert und irgendwann, nach knapp 2 Stunden Fahrtzeit geht es den berühmten Solarer Berg hinauf. Es bewahrheitet sich, was ich im Vorfeld gehört habe. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt auf dieser Straße und lassen lediglich eine kleine Lücke, durch die man den Berg hinauf fährt. Das Publikum feuert alle Teilnehmer frenetisch an. Man muss sich wirklich zusammenreißen, um nicht anzufangen hier vor Rührung zu heulen, aber zumindest an einem breiten Grinsen und Gänsehaut kommt man hier nicht vorbei. Es mag abgedroschen klingen, aber allein dafür hat sich das alles schon fast gelohnt.
Am Ende der ersten Runde stehen auf dem Edge als Durchschnittsleistung 225 W. Das sind 5-10 W mehr als ich mir vorgenommen hab, allerdings war das nötig, um die Gesellschaft meiner derzeitigen Mitstreiter so wie einen 38er-Schnitt, den ich mir ebenfalls vorgenommen hab, zu halten. Von der vom Coach genannten "Thermik, bei der man die ganze erste Runde das Gefühl hat, man hätte Rückenwind" habe ich bislang dafür nicht so viel gemerkt. Direkt eingangs der zweiten Runde begann das Überrunden. Einige Teilnehmer sind deutlich später gestartet als unsere Startgruppe (die letzten Staffeln starten erst um 9:15). Nicht immer einfach, nicht immer ungefährlich. Der Wind hat inzwischen auch zugenommen und etwas gedreht. So bin ich bei gleicher Leistung etwas schneller wieder in Greding beim Anstieg als in der vergangenen Runde. Oder ist das jetzt etwa die berüchtigte Thermik? Den Berg kletter ich also ein zweites Mal hoch und rede mir am höchsten Punkt der Strecke ein, dass das Radfahren nun im Wesentlichen geschafft sei. Die letzte Stunde auf dem Rad ist allerdings etwas zäh und ich sehne mich schon nach den Laufschuhen. Das zweite Mal den Solarer Berg hochzufahren ist immer noch ein rührendes Erlebnis, auch wenn mittlerweile merklich weniger Publikum vor Ort ist, da viele sicher schon bei den Profis an der Laufstrecke sind. Ich halte meine Werte allerdings noch halbwegs konstant. Ich klammer mich zum Schluss nach dem Verlassen der zweiten Runde auf den letzten 4 Kilometern nach Roth an einen Radsplit unter 4:40h fest und bleibe am Ende 8 Sekunden drunter - auf die Minute genau die gleiche Zeit wie letztes Jahr in Hamburg, nur mit 20 W und über 1000 Höhenmetern mehr. Unterm Strich liegt nun ein für meine Verhältnisse großartiges Radfahren hinter mir - Sowohl aus sportlicher als auch aus sentimentaler Sicht.
Da ich schon auf dem Rad (aus aerodynamischen Gründen) Socken getragen hab, kann ich mir etwas Zeit in der zweiten Wechselzone sparen. Man kann in Roth sein Rad direkt einem Helfer in die Hand drücken, bekommt sein Wechselbeutel direkt vor der Nase ausgeleert, kann in die Schuhe schlüpfen und direkt loslaufen. Das alles dauert bei mir insgesamt eine gute Minute. Zweitschnellster Wechsel im gesamten Feld (inklusive Profis). Ich brauch ein wenig, um meinen Rhythmus zu finden, das Tempo stimmt schon, aber es fühlt sich noch nicht wirklich rund an. Nach 3 Kilometern aber, noch vor Erreichen des Kanalwanderwegs lockert sich der Körper etwas auf und es rollt. Die Hälfte des Kurses, etwa von Kilometer 4 bis 25, besteht aus einer Pendelstrecke am Main-Donau-Kanal. Obwohl dies der einsamste Teil der Laufstrecke ist, ist selbst hier noch alle paar Meter Publikum und Unterstützung zu sehen. Die ersten 10 Kilometer lege ich (wie in Hamburg letztes Jahr) in 39 Minuten und ein paar zerquetschten zurück. Langsam sehne ich mich danach, mich zu erleichtern, bei Kilometer 15 gönne ich mir dann endlich eine Pause auf dem Dixi. An den Verpflegungsstationen wird man hier buchstäblich mit Wasser überkippt. Die Temperatur ist mittlerweile auf über 30°C im Schatten gestiegen. Bei Kilometer 18 kommen langsam Seitenstiche auf und werden zunehmend stärker. Ich muss das Tempo drosseln, bereits in der ersten Hälfte des Laufs fallen meine Kilometerzeiten von knapp 4 min/k auf 4:30. Das ist kein gutes Zeichen. Ich beginne bereits, hochzurechnen, wie langsam ich den Marathon nun noch laufen darf, um am Ende irgendwie unter 9 Stunden zu finishen und zumindest mein Minimalziel zu erreichen. Ich frage mich, woher die Seitenstiche kommen und stell fest, dass das Wasser in meinem Bauchbereich trotz der hohen Temperaturen nicht verdunstet ist, mein Bauch ist eisig kalt. Ich öffne den Renneinteiler ein Stück weiter, verzichte darauf, dass mir Wasser über den Körper gekippt wird und langsam verdunstet das Wasser von meinem Rennanzug und mein Bauch wird wieder wärmer - die Seitenstiche verschwinden peu à peu und ab Kilometer 25 laufe ich tatsächlich wieder einige Kilometer um 4 min/k.
Nach 2h per pedes liegen schon über 29 Lauf-km hinter mir. Es warten allerdings noch einige Höhenmeter in er Hitze auf mich. Es geht noch durch die Rother Innenstadt, hinauf nach Büchenbach und zurück nach Roth. An den Verpflegungsstationen nehme teilweise gehend alles mit, was ich in die Finger bekomm, an den Anstiegen geht es nur darum, zu laufen, egal wie langsam. Auf dem Weg nach Büchenbach müssen unter anderem nochmal etwa 50 Höhenmeter auf 2 km überwunden werden. Nach fast 8 Stunden Renndauer nicht so leicht, aber auch nicht so schlimm, wie ich es mir im Vorfeld vorgestellt hab. In Büchenbach wird man nochmal ordentlich angefeuert und weiß, dass es nun nur noch bergab geht. Die letzten 6 Kilometer laufe ich dann tatsächlich noch im 4:00er-Schnitt.
Damit war am Ende die erste und zweite Hälfte des Laufens annähernd gleich schnell und das Tempo somit doch relativ gleichmäßig. Mit 2:51:47 h gelingt mir die neuntschnellste Laufzeit im gesamten Feld. Die letzten Meter durchs Stadion kann ich in vollen Zügen genießen und komme nach einer Gesamtzeit von 8:34:24 h ins Ziel. Immerhin schneller als das halbe Profifeld (wobei die Amateure auch mit Neo schwimmen durften, die Pros nicht) und als siebtschnellster Amateur des Tages.
Mein Fazit: Erstmal ist die Challenge Roth eine unfassbar schöne Veranstaltung, die alle Erwartungen erfüllt hat. Der Eindruck scheint durchs gute Wetter verstärkt zu sein, es ist allerdings vor allem die ungeheure Positivität und Begeisterung aller Beteiligten vor Ort! An dieser Stelle: Danke an die Veranstalter und alle Helfer! Sportlich gesehen bin ich ohne größere Schwierigkeiten durch den Tag gekommen. Beim Schwimmen waren es anfangs Beklemmungsgefühle, die letzte Stunde auf dem Rad Müdigkeit und beim Laufen gute 20 Minuten Seitenstiche - das war's auch schon! Leider(?) habe ich es wieder nicht geschafft, mich körperlich beim Laufen an die Grenzen zu bringen. Der limitierende Faktor scheint nach wie vor mentaler Natur zu sein. Allerdings könnte man auch sagen: Alles richtig gemacht, denn zumindest fühlen sich meine Beine schon wieder frisch an und ich hing weder nach dem Zieleinlauf noch in den Tagen unmittelbar danach richtig durch. Außerdem konnte ich die letzten Kilometer genießen - bei einem Langdistanztriathlon nicht so selbstverständlich. Die 100% kommen dann hoffentlich in einem der kommenden Wettkämpfe. Der nächste ist schon 6 Tage nach Roth (Regionalliga in Görlitz). In 3 Monaten kommt dann das große Saisonhightlight auf Big Island, Hawaii.
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