Ironman Hawaii 2022

Wie so oft rückte der Tag, auf den man so lange hin gefiebert hat, fast unbemerkt so nah, dass er schon fast greifbar war. Gleichzeitig liegt die Qualifikation aus Hamburg Ende August 2021 so weit zurück, dass es sich anfühlt, als hätte das alles in einem früheren Leben stattgefunden. Tatsächlich ist sehr viel seitdem passiert. Über ein Jahr ist damit zwischen dem Qualifikationsrennen und der Weltmeisterschaft vergangen, und in einem solchen Jahr kann nun mal viel passieren. Auf einiges blickt man mit einem weinenden, auf anderes mit einem lachenden Auge zurück.

Nach einer doch recht ergiebigen Saisonpause wurden die Trainingsumfänge schon bald auf neues Niveau angehoben. Nach dem sportlichen Erfolg aus Hamburg waren die Ambitionen groß, an Motivation mangelte es selten. So verstrichen die Tage, Wochen, Monate. Neben dem Training und der Arbeit blieb selten der Blick nach rechts und links und oft reihte sich ein Termin an den anderen. Der Begriff „Entbehrung“ machte sich bis zu diesem Jahr nicht allzu oft in meinen Gedanken breit, in diesem Jahr änderte sich das allerdings. Dennoch tat ich ja nach wie vor das, was mir Spaß macht und worauf ich am Ende des Tages oft stolz zurückblicken konnte. Nun ging es letztendlich auf das Ende einer recht langen Saison zu. Zudem, das hat wohl noch keiner vergessen, handelte es sich um die erste Saison seit 2019, die nicht maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt war.

Mit einem gesunden Selbstbewusstsein mach ich mich also am 29. September, 9 Tage vor dem Rennen, an einem recht kühlen und leicht verregneten Donnerstagmorgen auf den Weg ins deutlich wärmere Kailua-Kona. Bis auf ein paar Kleinigkeiten verläuft die Anreise problemlos. Vor Ort habe ich mir mit 5 weiteren Personen, Freund Simon, selbst auch Teilnehmer, und Teilen seiner Verwandtschaft eine Ferienwohnung gemietet. Sie liegt etwa 8 km vom Zentrum des Geschehens entfernt. Der erste größere Formtest steht für uns am Sonntag an. Das traditionelle Ho‘ala Swim, bei dem die (annähernd originalgetreue) Schwimmstrecke unter Wettkampfbedingungen abgeschwommen wird. Meinen Wunsch, das 3,86 km lange Schwimmen unter einer Stunde hinter mich zu bringen, kann ich mir mit einer Zeit von 59:19 erfüllen. Das verschafft weitere Zuversicht und Aufwind.

Die nächsten Tage waren dann leider von etwas Kränkeln geprägt. Wie groß der Einfluss der Anreise, der Zeitumstellung, dem sehr zuckrigen Essen, klimatisierter Raumluft oder Ansteckung im eigenen Haus war, bleibt ungewiss. Auf jeden Fall fallen die finalen Trainingsvorbereitungen fortan größtenteils aus. Auch der Jetlag macht mir bis zum letzten Tag merklich zu schaffen. Die erste Nacht mit vernünftigem Schlaf seit meiner Abreise findet wohl erst irgendwann nach meiner Rückkehr in Deutschland statt. Darüber hinaus bleibt auch die Herzfrequenz bei gewohnter Belastung ungewohnt hoch. Aber genug Rumgejammer. Die Hoffnung auf einen guten Wettkampf bleibt.

Der Ironman Hawaii wird in diesem Jahr erstmals an zwei Tagen ausgetragen, um die ungeheure Masse von über 5000 Athleten zu stemmen. Am Donnerstag, dem 6. Oktober werden alle weiblichen Teilnehmer und einige männliche Altersklassen ins Rennen geschickt. Mittlerweile hat sich der unscheinbare Pier erstmals seit drei Jahren wieder zur ikonischsten Wechselzone im weltweiten Triathlon-Zirkus verwandelt. Natürlich haben wir es uns nicht nehmen lassen, uns das Rennen zum Großteil live vor Ort anzusehen. An dramatischen, herzzerreißenden Momenten, aber auch an schönen und inspirierenden ist dieser Donnerstag kaum zu übertreffen. Hier spielen sich Geschichten ab, die man in der Form, Menge und Intensität wohl nur beim Ironman Hawaii erleben kann.

 

Zwei Tage später bin ich dann auch schon dran. Meine Altersklasse, M35-39, hat den wohl dankbarsten Zeit-Slot aller Amateure erhalten. Wir starten am Samstag um 6:40 Uhr, 15 Minuten nach den männlichen Profis und vor allen verbleibenden Altersklassen. An diesem Tag fühle mich besser als die vergangenen Tage. Geschlafen habe ich nicht prächtig, aber immer noch besser als die anderen Tage seit meiner Anreise – und wann schläft man denn auch schon vor so einem aufregenden Event wirklich gut?

Nachdem ich mich in die zweite Reihe der deutlich über 400 Mann starken Startwelle einsortiere, ertönt auch schon das Startsignal. Mein erster Move ist erstmal gegen eines der Kajaks zu schwimmen, die die Startlinie markieren. Ich finde trotzdem verhältnismäßig gut ins Rennen. Die ersten Minuten sind vor allem von sehr viel Körperkontakt geprägt, was allerdings auch bei einer so großen und, verglichen mit sämtlichen anderen Triathlonrennen, gleichzeitig homogenen Startwelle, nicht anders zu erwarten war. Nach den einzelnen geschwommenen Kilometern checke ich die Zwischenzeit, was aufgrund des klaren Wassers kein Problem ist. Ich merke, dass es wohl nicht ganz so schnell werden würde wie beim Ho’ala Swim und, dass wir es am vergangenen Sonntag wohl mit idealen Bedingungen zu tun hatten. Nichtsdestotrotz steige ich nach 60:47 Minuten aus dem Pazifik und bin damit immerhin eine gute halbe Minute schneller als 2018. Auch wenn die Uhr schon ein paar Sekunden länger als eine volle Stunde getickt hat, bin ich zufrieden. Der erste Wechsel verläuft ohne Komplikation, und obwohl ich mich im Gegensatz zu 2018 von meinem Swimskin entledigen muss und mir Aerosocken fürs Radfahren anzieh, verbringe ich auch nicht mehr Zeit in der Wechselzone als damals.

In aussichtsreicher Position schwing ich mich aufs Rad. Von Simon bekomm ich meine Platzierung und einige Zeitabstände zugerufen. Ich erfahre, dass mein Schwimmen gut genug für die Top 100 der AK und damit die besten 25% war. Mit 6 Minuten auf den zehnten Platz bin ich ebenfalls zufrieden. Die ersten Kilometer führen zunächst gen Süden, bevor man nach etwa 3 km kehrt macht und den Weg Richtung Norden, um zum Großteil über den Highway nach 95 km das Fischerdorf Hawi zu erreichen. Schließlich rollt man auf gleichem Weg, aber ohne die Südschleife, zurück nach Kona - 180,2 km in der Summe. Die Leistung ist in etwa im Zielbereich (etwas über 200 W) und die Herzfrequenz (mittlerweile erwartbar) hoch. Ich richte mich nach meinem Gefühl und das sagt: Die Hitze stört mich nicht und die Beine sind so weit bereit. In der ersten Stunde lege ich kaum mehr als 33 km zurück, was allerdings ein wenig dem Streckenprofil und noch mehr dem leichten Gegenwind geschuldet ist. Ich bin zuversichtlich, dass sich das noch ändern sollte. An jeder der etwa 25 km auseinander gelegenen Verpflegungsstationen greife ich mindestens zwei Wasserflaschen, teilweise noch eine Cola on Top. Weniger zu Trinken als der Körper in der verfügbaren Zeit aufnehmen kann, kann sich hier niemand leisten. Was die Gruppendynamik und Fairness beziehungsweise die Umsetzung des Windschattenverbots angeht, zeigt sich ein sehr viel besseres Bild als noch 2018, das letzte Jahr, in dem sämtliche männlichen Amateure zeitgleich ins Rennen geschickt wurden. Eine extrem positive Entwicklung! Die Zeit vergeht in Anbetracht der schieren Distanz und der teilweise eintönigen, wenn auch schönen, Landschaft recht schnell. Hin und wieder treffe ich bekannte Gesichter auf der Strecke, so einen Briten, mit dem ich dieses Jahr eine ganze Weile gemeinsam in Roth geradelt bin oder auch einen Freund aus Lübecker Zeiten, mit dem ich 2018 angereist nach Hawaii gereist war. Orientierungspunkte, an denen man sich gerne festbeißt, um sich die Zeit zu vertreiben. Auch beobachte ich nach gut 75 km mit Neugier die entgegenkommende Spitze des Profifeldes. Spannend! Nach einem sanften, dafür sehr langen, Anstieg nach Hawi habe ich bis hierhin einen Schnitt von 209 W und 35 km/h auf dem Radcomputer stehen. Vorm Wendepunkte versuche ich die vor mir liegenden Amateure zu zählen und komme auf gut 100, wobei sich dort auch bereits einige Agegrouper der 10 Minuten nach uns gestarteten Welle (andere Altersklasse und damit keine Konkurrenz) untergemischt haben. Ich dürfte meine Platzierung also in etwa gehalten haben. Von nun an wird es schneller, denn zurück zum etwas tiefer gelegenen Kona, kam der sanfte, stetige Wind von hinten. Wie bei bislang all meinen Langdistanzen fühle ich mich für etwa dreieinhalb Stunden auf dem Rad recht wohl. Anschließend gehen die Kräfte langsam zu Neige und für die letzten 30-45 Minuten klammer ich mich an irgendeinem Ziel fest, in diesem Fall ein Schnitt über 200 W, während ich mich längst nach meinen Laufschuhen sehne. Mit einem Schnitt von 201 W und 36,8 kmh beende ich die Radfahrt deutlich unter 5 Stunden. 2 Minuten schneller und 22 W mehr als vor 4 Jahren. Im Nachhinein weiß ich auch, dass auch der Radsplit mit 4:54:20 knapp unter den schnellsten 100 meiner Altersklasse war. Ein freudiges Häkchen dahinter!

Nach einem etwas längeren Wechsel, gehe ich als 78. meiner Altersklasse auf die Laufstrecke. Dass ich die T2 nutzen muss, um Wasser zu lassen und das recht hell, zeigt mir, dass ich eher zu viel als zu wenig getrunken habe, sprich: Mehr als der Körper verarbeiten kann und somit den Überschuss auch irgendwie ausscheiden muss. Was soll’s, deutlich besser als vorzeitig zu dehydrieren. Nach wenigen Laufkilometern finde ich einen komfortablen Schritt, lege die ersten 4 km in glatten 16 Minuten zurück und pendel mich dann bei etwa 4:15 pro Kilometer ein. Die Kilometer ohne Verpflegungsstation sind etwas schneller, die mit (etwa alle 2,5 km) etwas langsamer, denn ich lege sie gehend zurück, um möglichst viel an Verpflegung und Kühlung mitzunehmen. Nach einer 12 Kilometer langen Schleife durch Kona führt auch die Laufstrecke über den Highway Richtung Norden, zum Glück nicht ganz so weit. Bevor man den Wendepunkt nach etwa 26 km erreicht, verlässt man den Highway und bahnt sich seinen Weg durch das berüchtigte Energy Lab. Kurz vorm Energy Lab lege ich eine weitere Pause ein, denn getrunken habe ich offensichtlich nach wie vor gut. 28 km Kilometer und damit etwa Zweidrittel der Laufstrecke liegen nach knapp 2h hinter mir. Ich liege also recht genau auf 3h-Marathon-Kurs. Wie beim Radeln auch treffe ich hier und da ein paar bekannte Gesichter auf der Strecke und die Zeit vergeht zunächst recht schnell. Ich fühle mich für insgesamt etwa 33 Laufkilometer recht gut, bevor es anfängt wirklich zäh zu werden. Ein weiterer Toilettenstopp muss her, nicht nur, um mich zu erleichtern sondern allmählich auch um mein Bedürfnis, stehen zu bleiben, zumindest für eine gute halbe Minute zu befriedigen. Ich merke, dass ich bis hierhin bereits eine Menge Plätze gutmachen konnte, daher hader ich auch mit mir, bevor ich nur 5 km vorm Ziel ein viertes und letztes Mal im Rennen ein Dixi aufsuche. Die Befürchtung war da, dass ich dadurch entscheidende Plätze einbüße, aber was will man tun? Zu halten war ja auch in Anbetracht der massiven Erschöpfung eine sinnvolle Sache. Kurz danach erhalte ich die motivierende Info, ich sei auf dem 14. Platz und die Abstände bis in die Top 10 hinein seien recht überschaubar. Leider bin ich zu diesem Zeitpunkt schon völlig paniert und den Vorschlag, die letzten 2 km zu rennen, kann ich mit deutlich über 4 min/km nur ansatzweise erfüllen. Am Ende erlaufe ich den 13. Platz in der AK M35-39. Der Welt. Mein Laufsplit mit einer Bruttozeit von 3:06:26 ist der fünftschnellste bei 419 Finishern in meiner AK.

Alles aufsummiert dauerte das größtenteils einfach nur schöne (und zum Teil sauharte aber schöne) Erlebnis 9 Stunden, 9 Minuten und 30 Sekunden. Damit kann nicht nur leben, darauf bin ich stolz und sehr zufrieden. Abschließend bleibt eigentlich nur noch danke zu sagen! Erik für die intensive Trainingsbetreuung, Simon für die langjährige Freundschaft und den gemeinsamen Traum von Hawaii, Florian und Christian für den spontanen Flughafentransfer, Markus für den Radkoffer. Meine Mitbewohner auf Hawaii für die schöne Zeit vor Ort, alle mit denen ich in den letzten Jahren trainieren oder einfach mal ein Läufchen machen durfte. Alle, die an mich gedacht haben und mitgefiebert haben, sei es vor Ort oder von zu Hause aus, auch beim Qualifikationsrennen oder zu sonst einer Gelegenheit. Freunde, Familie, Kollegen, Studis. Um die Gefahr zu vermeiden, die Grenze unscharf zu ziehen oder Leute zu vergessen (spontan fallen mir noch Dutzende ein), verzichte ich lieber darauf, weitere Namen explizit zu nennen. Ich hoffe aber ihr wisst, dass ihr gemeint seid. Mahalo!

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