Deutsche Marathon-Meisterschaft in Hannover

Nachdem ich im letzten Jahr mal wieder gemerkt habe, wie schön Marathon laufen sein kann, habe ich noch im vergangenen Jahr den Entschluss gefasst, einen Frühjahrsmarathon zu laufen. Mein letzter Marathon liegt also nicht weit in der Vergangenheit. Mit einer neuen persönlichen Bestzeit (2:27:21) gelang mir letzten September in Berlin ein traumhafter Saisonabschluss. Der letzte Frühjahrsmarathon liegt allerdings schon erheblich länger zurück - ganze 10 Jahre! Damals war in den Straßen Hannovers unterwegs und kann mich noch gut erinnern, wie ich erstmals unter 2:45 laufen wollte. Ich hatte die erste Hälfte etwas zu ambitioniert in 1:20h hinter mich gebracht und nach 28 Kilometern richtig zu kämpfen. Am Ende brachte ich eine Zeit von 2:50:56h ins Ziel. Das sollte dieses Mal definitiv anders werden!

Ursprünglich war die Idee, die Leistung aus Berlin als Türöffner zu nutzen, um in ein Elitefeld zu kommen. Somit habe ich dann auch auf Anfrage einen Startplatz im Elitefeld des Manchester Marathon bekommen. Letzten Endes habe ich mich dann aber aus einer Hand voll guter Gründe umentschieden und mich für die deutsche Marathon-Meisterschaft angemeldet, die am selben Tag wie der Manchester Marathon (14. April) stattfinden sollte - und das in Hannover, so schließt sich der Kreis.

Meine eigene Zielstellung war dieses Mal nicht hundertprozentig klar, aber es gab Tage, an denen ich daran gedacht habe, 2:25h zu unterbieten. Nach meinem Ergebnis beim Halbmarathon in Den Haag, 4 Wochen vor dem Marathon, kam mir dieses Ziel dann aber doch etwas vermessen vor. In den Niederlanden erreichte ich das Ziel nach 1:10:13, und bei Betrachtung der bloßen Zahlen passt das einfach nicht zu einer 2:24 im Marathon. Blickt man auf meine ein Jahr alte Halbmarathon-Bestzeit, muss auch schon sehr vieles zusammenkommen, um von einem so schnellen Marathon träumen zu dürfen.

Eine Woche nach Den Haag folgte ein schneller 10 km Wettkampf mit Rückenwind (Punkt zu Punkt in 31:50). Mit gut 16 Tagen Abstand zum Marathon führte ich die klassische Schlüsseleinheit durch: 5x5 km (in durchschnittlich 17 Minuten). Das gab dann doch wieder Zuversicht. Im Rücken hatte ich zudem einen Wochen-Kilometerschnitt von 140 km seit Jahresbeginn, das sollte natürlich nicht umsonst sein. Auf der anderen Seite wollte ich nicht zu verbissen in den Wettkampf gehen. Oberstes Ziel war Spaß haben. In Richtung 2:25h wollte ich dann aber zumindest den Versuch wagen.

Um 9 Uhr wird die Nervosität noch durch eine kurze Startverzögerung gesteigert, aber ich hab mich gut an der Startlinie positioniert und dann geht es auch schon los.

Mein Traumszenario sieht vor, mit meinem alten Freund Simon und Domenika Mayer, zumindest die ersten Kilometer, in einer Gruppe zu laufen. Simon und ich kennen uns seit bald 10 Jahren über den Sport. Seit einigen Jahren konnte ich Simon in gemeinsamen Rennen nur für die ersten paar Rennminuten von hinten beobachten, bevor er in der Ferne verschwand. Heute, der alten Zeiten willen, wollte ich versuchen eine Weile mitzuhalten und gemeinsam mit ihm zu laufen. Domenika Mayer wurde auf dieser Strecke vor 2 Jahren deutsche Meisterin, hat mittlerweile eine Bestzeit von 2:23:47 und kämpft an diesem Tag um den Gesamtsieg und den Streckenrekord, der mit 2:25:45 recht genau im Bereich meiner Zielstellung liegt. Das Wetter spielt heute auch mit, auch wenn es etwas windig ist. Es ist leicht bedeckt, trocken, und mit Temperaturen um die 12° C sind es insgesamt ziemlich gute Laufbedingungen! Ausreden gibt heute es keine.

Direkt zu Beginn bildet sich eine elfköpfige Gruppe um Domenika. Neben ihr laufen noch eine zweite Frau, drei Tempomacher, Simon, ich und noch vier weitere Männer in der Gruppe. Fortan werden wir stets von einer Fernsehkamera begleitet, die Live-Bilder für das NDR einfängt. Zudem laufen wir direkt hinter dem Führungsfahrzeug für die erste Frau hinterher. Nach jedem Kilometer zeigt die große Digitaluhr auf dem Auto den Kilometer-Split, die Zwischenzeit und die hochgerechnete Zielzeit an. Damit das funktioniert, passt ein offizieller Radbegleiter bei jeder Kilometermarke den Moment ab, an dem die erste Frau die Marke passierte und gibt ein Handzeichen an den Beifahrer des Führungsfahrzeugs. Ziemlich cool, das alles aus nächster Nähe mitzuerleben! Auf der Uhr steht somit vom ersten Kilometer an eine prognostizierte Zielzeit von 2:23:XX, was mich erstmal etwas nervös macht. Im Grunde denke ich mir aber: Wenn es etwas zu schnell für mich ist, dann wird es hinten raus eben etwas langsamer. Gedanken an einen drastischen Einbruch, wie er im Marathon nicht unwahrscheinlich ist, schiebe ich beiseite.

Die Tempomacher sorgen für äußerst gleichmäßige Kilometerzeiten um die 3:24min. Die 5 Kilometer passieren wir ziemlich genau in 17 min. 10 km liegen nach 34 min hinter uns, 15 km nach 51 min und so weiter. Mal fühle ich mich richtig gut und locker, mal ziemlich am Anschlag. Diese Gefühle wechseln sich interessanterweise, trotz des gleichmäßigen Tempos, etwa alle 10 Minuten ab - ein seichtes auf und ab. Mit dem Gedanken "Mal sehen wie lange ich hier noch mitlaufen kann", hangele ich mich von Minute zu Minuten und von Kilometer zu Kilometer.

Etwa im Bereich der Halbmarathonmarke, die wir in 1:11:39h erreichen, müssen zwei Männer aus unserer Gruppe allmählich zurückstecken und fortan sind wir noch zu neunt. An der prognostizierten 2:23h hat sich bislang nichts geändert. Da wir jetzt auf einer langen Gegenwindgeraden sind, ist die Motivation noch höher, in der Gruppe zu bleiben. So gut es geht "mitschwimmen", zumindest bis es aus dem Wind herausgeht, dann bis Kilometer 30 (1:41:59h), dann bis Kilometer 35, den wir nach weniger als 2 Stunden hinter uns haben (1:59:09h). Von nun an ist das Ende absehbar und ich fange an zu rechnen, wie viele Minuten ich noch in der Gruppe bleiben muss. Etwa zu dieser Zeit muss auch die zweite Frau abreißen lassen, womit Domenika nun sicher auf dem Weg zum Sieg und zu einer deutlichen Verbesserung des Streckenrekords ist. Wir erleben die Entscheidung des Frauenrennens somit aus nächster Nähe. Nach 38 km kann Simon das Tempo anziehen und sich etwas absetzen, ich bleibe in der Gruppe.

 

Für den letzten Kilometer kann ich noch Energiereserven mobilisieren und überquere die Ziellinie nach 2:23:44! Über eine Minuten schneller als ich es mir für einen perfekten Tag erträumt hatte! Ich habe mich mit 19 Sekunden Rückstand direkt hinter Simon platziert. Dass wir damit auf Platz 8 und 9 in der DM-Wertung landen würden, hatten wir während des Rennens überhaupt nicht auf dem Zettel, dementsprechend groß ist die Freude, als wir davon erfahren, denn auch im Vorfeld hätten wir damit im Leben nicht gerechnet! Das i-Tüpfelchen ist die Bronzemedaille in der M35 für mich.

Damit hat das Rennen meine Hoffnungen und kühnsten Erwartungen deutlich übertroffen. Das gilt sowohl für die Zeit als auch die Platzierung als auch den Rennverlauf. Praktisch das komplette Rennen in dieser Gruppe, begleitet von TV-Kameras, mitzulaufen, war ein Riesenvergnügen und auch eine gewisse Ehre.
Die Stimmung am Streckenrand war grandios, und da wir mit der führenden Frau unterwegs waren, haben wir vom Zuschauerjubel natürlich nochmal extra viel miterleben dürfen. Ein ganz besonderer Dank geht an Leif, Olli und Svea, die Simon und mich bestmöglich vom Streckenrand aus unterstützt haben. Ohne euch wäre das keinesfalls möglich gewesen!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Nick Vogler (Donnerstag, 18 April 2024 08:01)

    Wieder ein schöner Bericht und tolle Bilder von dem beeindruckenden Rennen! Mir gefällt der respektvolle Ton, Deine Freude über das Erreichte und die Dankbarkeit, großer Sport!!! Liebe Grüße!